Ein Plädoyer gegen Schwarz-Weiß-Denken
Text: Tine Sprandel
„Gut oder schlecht?“ Bei der Gartenbegehung stellte mir die Gartenbesitzerin bei jeder wild wachsenden Pflanze diese Frage. Und ehe ich antworten konnte, sagte sie selber: „Schlecht. Also raus damit.“
Nur bei den Brombeeren kam sie ins Stocken.
Warum teilen wir Pflanzen in gute oder schlechte Pflanzen? Warum sollte der Knoblauch, den wir pflanzen, besser sein als die wildwachsende Knoblauchsrauke? Warum der Apfelbaum wertvoller als der Brombeerstrauch?
Sind Brombeeren im Garten gut oder schlecht?
Brombeeren im Garten sind zuallererst ein großartiges Beispiel für Schwarz-Weiß-Denken. Denn jede Sichtweise bietet eine Menge starker Argumente.
Nehmen wir diesen Fall: Das Dickicht hinter dem Haus wächst gnadenlos. Der Weg, der von dort in den Garten führt, lässt sich nur in Schutzkleidung begehen.
Dort wachsen Brombeersträucher wie wild, bilden kräftige Triebe mit starken Dornen. Da schützen nicht mal dicke Handschuhe, wenn die Arme zwischen die Äste gelangen.
Die Tatsache, dass die Brombeere auch eine Heilpflanze ist, mindert den Zorn und den Frust bei dem Versuch ihrer Herr zu werden, nur minimal.
Bei aller Liebe: Die Brombeere muss weg.
Schade eigentlich. Und ein Haufen Arbeit.
Schöner wäre es, wenn sich Brombeeren im Garten von selber zurückziehen würden. So als ob sie ein Einsehen hätten und den Wunsch nach einem begehbaren Zugang respektieren würden.
Wenn Brombeeren im Garten ein Einsehen hätten…
Es gibt zahlreiche Abhandlungen darüber, wie die Brombeere Förstern im Wald das Leben schwer machen. Da steht nichts von Einsehen. Doch eines haben Brombeeren im Wald mit den wilden Brombeeren im Garten gemeinsam: Sie gehören zu den Pionierpflanzen.
Das heißt nach einem Kahlschlag, nach einem Feuer oder auf Brachland schlagen Brombeeren mit als Erste Wurzeln. Sie bedecken den Boden mit ihren überhängenden Trieben, sie wehren Eindringlinge mit kräftigen Dornen ab. Und: Ihr Blätterdach hindert junge Setzlinge daran, weiterzuwachsen.
Damit sie noch schneller offenen Boden bedecken, bilden Brombeeren jede Menge Ausläufer. In ihrem Gestrüpp entstehen Höhlen, die Unterschlupf für Kleinsttiere bieten, an ihren Blüten laben sich Bienen, Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten. Reichlich Laubfall und intensive Durchwurzelung machen sie zu einem guten Bodenverbesserer. Kurz gesagt: Brombeeren sind Vorboten eines vielfältigen ökologischen Zusammenspiels.
Was ihre Stärke ist, ist aber auch ihre Schwäche: Pionierpflanzen breiten sich schnell aus. Wenn eine gewisse Humusschicht entstanden ist und in ihr das Leben tobt, dann ist die Zeit für Pioniere langsam zu Ende. Und genau dort können wir ansetzen, wenn wir sie vertreiben wollen: die natürliche Entwicklung.
Der Fachausdruck heißt Sukzession. Sukzession (lateinisch successio = Nachfolge) beschreibt den schrittweisen Wiederaufbau eines geschädigten Ökosystems. Dabei durchläuft es das Initialstadium und verschiedene Folgestadien, um das Klimaxstadium zu erreichen.
Anders ausgedrückt: Die Entwicklung verläuft vom unreifen bis zum reifen Stadium, das sich dauerhaft selber erhält.
Pionierpflanzen, Krautschicht und Wald – das sind die Hauptstadien, die die Ökologie für eine Wiederbesiedelung kennt. In der reifen Phase dominieren mehrjährige Arten, die wenig Pflege beanspruchen. Das sind Stauden, Sträucher und Gehölze.
Brombeeren sind also auf nährstoffarmem Boden nahezu konkurrenzlos, auf nährstoffreicherer Gartenerde nicht! Wo eine dichte Bepflanzung mit Gehölzen und großen Stauden gut eingewachsen ist, bleiben Brombeeren außen vor.
Und selbst, wenn sie mal auftauchen, sind die Triebe leicht zu entfernen und es besteht nicht die Gefahr, dass alles überwuchert wird.
Willst du Brombeeren vertreiben, arbeite mit der natürlichen Entwicklung
Für den eigenen Garten kannst du dieses Wissen nutzen und darauf hin arbeiten, dass die Brombeeren ihren Job als Pionierpflanze nicht mehr zu tun brauchen und sich zurückziehen.
So gehst du vor:
- Brombeerranken über dem Boden abschneiden.
- Boden lockern, umgraben soweit möglich.
- Boden verbessern durch Kompost, Mulchen oder direkt humusreiche Erde aufbringen.
- Stauden und Bäume aus der reiferen Phase pflanzen.
Ich nenne das „gegen Brombeeren anpflanzen“. Gute Erfahrungen habe ich mit Herbstanemonen, Efeu, wilden Christrosen und Storchschnabel gemacht. Empfehlen kann ich auch: Buschbohnen, Senf, Wicken oder Süßlupinen. Als Sträucher setzen sich beispielsweise Haselnuss, Schlehe, Weißdorn oder Heckenrosen durch.
Vielleicht können ein paar Brombeeren an manchen Stellen auch länger stehen bleiben?
Sie sind in der Lage einen hässlichen Zaun zu überwuchern. Aus ihren langen Ranken lassen sich Körbe oder Staudenhalter flechten. Und die anfangs erwähnte Eigenschaft als Heilpflanze!
Eine Anleitung zum Korbflechten mit Brombeerranken findest du im Lavendelo 12
Das einzige, was du brauchst, ist etwas Geduld. Auch wenn du einen natürlichen Prozess beschleunigst, das geht nicht von heute auf morgen.
In der Zwischenzeit genieße Blätter und Früchte
Du kannst täglich von Brombeerblätter sammeln – auch im Winter! – und daraus einen Tee zubereiten (Rezept am Ende des Beitrags). Erfrischender als jeder Früchtetee. Im Sommer lässt du den Tee kalt werden und genießt ihn mit Minze und etwas Zitronensaft als Eistee. Die Antioxidantien in den Blättern helfen zum Beispiel das Zahnfleisch zu stärken.
Und die Früchte! Im lichten Schatten geerntete dicke, schwarze Früchte sind reich an Vitaminen und Mineralstoffen.
Ist die Brombeere nun gut oder schlecht?
Schlecht ist sie auf keinen Fall. Höchstens hartnäckig, scheinbar unverwüstlich und sehr dornig. In jedem Fall ist sie eine faszinierende Pflanze, die uns eine Menge über das Zusammenspiel in der Natur erzählen kann, die wichtig ist und deren Früchte und Blätter lecker schmecken und vitaminreich, mineralstoffreich und gesundheitsfördernd wirken.
Es gibt keine guten oder schlechten Pflanzen und schon gar kein Unkraut. Und dennoch dürfen wir manche Arten vertreiben, wenn wir den Gartenraum anderweitig nutzbar machen wollen. In einem Garten agieren wir auf Augenhöhe mit den Lebewesen, die sich schon längst dort angesiedelt haben. Wir können von ihnen lernen, uns die Arbeit mit ihnen zusammen erleichtern und Räume gestalten, die für alle lebenswert sind. Wir müssen sie nicht alle lieben, doch das Wissen und die Wertschätzung um die Pflanzen zeigen uns den Weg.
Zubereitung Brombeer-Tee:
2 Tl Blätter mit 1/4 l kochendem Wasser übergießen und 10-15 Minuten ziehen lassen. Die Blätter abseihen und mit etwas Zitrone oder Honig genießen. 1-3 Tassen täglich.
Autorin: Tine Sprandel
Herausgeberin des Lavendelos. Gärtnerin. Autorin. Gartenberatungen.
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Das ist ein sehr ausführlicher und interessanter Artikel. Ich werde wohl noch öfter hier vorbei sehen.